Wer kontrolliert die Justiz? - Nachfragen zur Rolle von Parlament, Regierung und Justizkommission - Kleine Anfrage von Walter Hotz
Mit meiner Kleinen Anfrage vom 1. Juli 2025 habe ich den Regierungsrat ersucht, die Rolle des Kantonsrats bei der Genehmigung des Amtsberichts des Obergerichts zu präzisieren – insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der richterlichen Unabhängigkeit, Transparenz und Aufsicht.
Die Antwort des Regierungsrats vom 30. September 2025 bleibt aus meiner Sicht in wesentlichen Punkten unklar und unvollständig. Der Regierungsrat verweist auf eine beschränkte politische Bedeutung des Berichts und stuft die Genehmigung durch den Kantonsrat primär als „Kenntnisnahme“ ein – betont, aber gleichzeitig die Bedeutung des Berichts als Grundlage für die Beurteilung der Justizorganisation. Diese widersprüchliche Haltung wirft neue Fragen auf.
Noch gravierender ist jedoch, dass der Bericht des Obergerichts einen zentralen Fall vollständig verschweigt, der im Berichtsjahr zu erheblicher politischer und juristischer Relevanz geführt hat:
- Das Bundesgericht hat im Jahr 2025 ein Urteil des Schaffhauser Obergerichts zur Wahlbeschwerde bei den Ständeratswahlen aufgehoben.
- Der Beschwerdegegner wurde in diesem Verfahren durch einen ehemaligen Vizepräsidenten des Obergerichts vertreten – ein Umstand, der zumindest den Anschein einer strukturellen Befangenheit begründet.
- Im Amtsbericht 2024 findet sich dazu kein einziges Wort.
Diese gezielte Auslassung wirft nicht nur Fragen zur richterlichen Transparenz, sondern auch zur Wirksamkeit der politischen Oberaufsicht auf.
Zudem verweist der Regierungsrat in seiner Antwort mehrfach auf die Justizkommission des Kantonsrats. Gleichzeitig liegt die Genehmigung des Amtsberichts in den Händen des Plenums. Dies schafft ein institutionelles Verantwortungsvakuum, in dem sich niemand zuständig fühlt – und strukturelle Probleme in der Justiz schlicht nicht diskutiert werden.
Ich ersuche den Regierungsrat daher um die Beantwortung folgender Fragen:
A. Transparenz und Inhalt des Amtsberichts
- Wie beurteilt der Regierungsrat den Umstand, dass der im Jahr 2025 durch das Bundesgericht aufgehobene Entscheid des Obergerichts zur Wahlbeschwerde – ein bereits 2024 öffentlich bekannter und rechtlich sowie politisch relevanter Fall – im Amtsbericht 2024 überhaupt nicht erwähnt wird, obwohl das Verfahren zu diesem Zeitpunkt bereits hängig war?
- Hält er es für angemessen, dass ein derart bedeutender Fall – unabhängig vom Ausgang – im Bericht gänzlich ausgeklammert wurde - Ist der Regierungsrat der Meinung, dass laufende oder öffentlich relevante Verfahren – insbesondere bei Wahlbeschwerden – auch im Amtsbericht eines laufenden Geschäftsjahres zumindest als pendent erwähnt werden sollten, um der politischen Relevanz gerecht zu werden?
- Wäre der Regierungsrat bereit zu prüfen, ob künftig in den Amtsberichten eine eigene Rubrik für pendent gebliebene oder anhängige Verfahren mit potenziell grosser Tragweite eingeführt werden sollte – insbesondere dann, wenn sie das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz berühren?
B. Befangenheit und richterliche Unabhängigkeit
- Wie beurteilt der Regierungsrat den Umstand, dass ein ehemaliger Vizepräsident des Obergerichts als Parteivertreter in einem politischen Verfahren vor seinen früheren Kolleginnen und Kollegen auftritt?
- Teilt der Regierungsrat die bundesgerichtliche Auffassung, wonach nicht nur tatsächliche Befangenheit, sondern schon der Anschein vermieden werden muss (vgl. BGE 144 / 159, E. 4.1) - Welche Massnahmen schlägt der Regierungsrat vor, um künftig strukturellen Befangenheitsrisiken innerhalb der Schaffhauser Justiz präventiv zu begegnen – insbesondere bei der Mitwirkung ehemaliger Gerichtsmitglieder?
C. Aufsicht und Zuständigkeit: Justizkommission, Regierungsrat, Parlament
- Wie beurteilt der Regierungsrat die gegenwärtige Aufgabenteilung zwischen Justizkommission, Regierungsrat und Kantonsrat bei der Prüfung und Genehmigung des Amtsberichts des Obergerichts?
- Wer trägt die politische Verantwortung, wenn der Bericht wesentliche Fälle verschweigt oder befangenheitskritische Konstellationen ignoriert? - Wie kann nach Ansicht des Regierungsrats sichergestellt werden, dass die Justizkommission nicht nur eine formelle Vorprüfung vornimmt, sondern auch strukturelle Missstände erkennt und benennt – ohne dass sie die Verantwortung wiederum vollständig an das Plenum weiterreicht?
- Ist der Regierungsrat bereit, gesetzliche Anpassungen oder ergänzende Berichtspflichten (z. B. obligatorische Offenlegung von bundesgerichtlichen Aufhebungen, Prüfung auf potenzielle Befangenheit) zu prüfen, um die parlamentarische Oberaufsicht über die Justiz zu stärken?
Ich danke dem Regierungsrat für die umfassende Beantwortung dieser Fragen. Sie ist notwendig, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit der Justiz und die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle zu stärken.